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Leben und Werk von Yagi Mikajo

Bemerkungen & Anekdoten
und eine Kurzbiografie

 

übersetzt aus dem Englischen von Udo Wenzel,

(aus dem Japanischen von Richard Gilbert und Itô Yûki)

Übersetzung der Haiku von Kanae Shirai-Elfeky und Udo Wenzel

Mai 2008

 

 

 

 

 

 

 

• Auszug aus dem Nachwort zu Benitake [Scharlachroter Pilz] (1956, wiederveröffentlicht in Yagi Mikajo zen kushû [Gesammelte Haiku von Yagi Mikajo] Tôkyô: Shûsekisha, 2006, S. 43):

 

 

Nachwort zu BENITAKE

 

 

Der vorliegende Gedichtsband enthält meine Haiku-Werke aus der Zeit von 1945 bis 1955, die Jahre meiner Adoleszenz. Auch wenn meine Jugendzeit durch den 2. Weltkrieg abgeschnitten wurde und die Turbulenzen auf die eine oder andere Weise in mein Alltagsleben hineinreichten, war der Weg, dem ich folgte, augenscheinlich der einer typischen Frau, die ein scheinbar typisches Leben führte. Nachdem ich es so weit bewältigt habe, habe ich die Haiku dieser Zeit in der vorliegenden Ausgabe gesammelt. Die Tatsache bedenkend, dass ich immer noch atme - auch wenn mein Gesundheitszustand nicht der beste ist - empfinde ich Dankbarkeit. Ich respektiere die enge Verpflichtung gegenüber meinen Lehrern, meinen älteren Weggefährten, Freunden, meiner Familie und anderen. Nach außen hin erscheint der scharlachrote Pilz [amanita muscaria] verlockend, aber er ist giftig für den Menschen und andere Lebewesen – dieses Faszinosum entdeckte ich und aus diesem Grund verwendete ich das Bild als Symbol, indem ich es in den Titel des Buches aufgenommen und einen Hauch Farbe hinzugefügt habe. Dies spiegelt meinen Stil bewussten Widerstandes.

 

Januar 1956

Yagi Mikajo

 

 

 

 

 

• Auszug eines Beitrags von Kaneko Tohta (geb. 1919). Enhalten in: Yagi Mikajo zen kushû ([Gesammelte Haiku von Yagi Mikajo], Tôkyô, Shûsekisha, 2006, S. 1f.):

 

 

Der Geist des kühnen Experiments

von Kaneko Tohta

 

 

Ich erinnere mich, dass ich Yagi Mikajo irgendwann im Jahr 1956 erstmals begegnete, zu der Zeit, als sie ihr erstes Buch Benitake [Scharlachroter Pilz] veröffentlicht hatte. Die Feierlichkeiten zur Veröffentlichung fanden in Ôsaka statt und da ich damals in Kobe lebte, nahm ich an der Feier teil. Ich hatte einen sehr starken Eindruck von Yagi Mikajo und erinnere mich noch sehr genau an das Ereignis. Die Gesprächsthemen konzentrierten sich auf [zwei] Haiku, die den Titel des Buches enthielten:

 

紅き茸礼賛しては蹴る女

akaki take raisan shite wa keru onna

 

Ein scharlachroter Pilz, verehrt,

weggekickt, von einer Frau

 

 

紅茸の前にわが櫛すべり落つ

benitake no mae ni waga kushi suberi otsu

 

Vor einem scharlachroten Pilz

rutscht mir mein Kamm aus

 

Der subtile Wortgebrauch, besonders im ersten Haiku - die Verwendung von akaki take [für scharlachroter Pilz] anstatt von benitake [eine sprachliche Nuance] - suggeriert die Gegenwart der Partnerin des Mannes. In der Diskussion sagte jemand: „Dieses Wortspiel ist auf geschickte Weise heimtückisch.“ [enthält auch “fuchsartig” in allen Bedeutungen. Dokubenitake, ein anderer scharlachroter Pilz (Russula emetica) Japans, hat eine weibliche Form] Die Diskussion endete mit der Äußerung eines Teilnehmers: „Dieses Haiku handelt von Eifersucht.“ Auf jeden Fall stellt die Frau, deren Kamm vor dem Mann ausrutscht, eine starke „Herausforderung“ für ihren Partner dar. [Der Ausdruck “mein Kamm rutscht mir aus” impliziert eine dominante Sexualität. In der japanischen Kultur dieser Zeit erwartete man von einer „anständigen“ Frau, sich passiv zu verhalten.] Wir lachten vor Bewunderung. Unsere Gruppe bestand aus einer Gemeinschaft von Haiku-Dichtern, die Haiku über „den Menschen“ schreiben und nicht der Kompositionsweise des kachôfûei [traditionelle Kompositionsweise, die auf “offiziellen” kigo und weiteren Regeln beruht] folgen wollten.

 

Aus diesem Grund wurde die Veröffentlichung des Haiku-Buches Benitake wärmstens, mit großer Begeisterung begrüßt. Wir hatten das Gefühl, dass hier etwas Neues im Entstehen war. Mikajo hatte auf die Ziele unserer Gruppe körperlich geantwortet. Lächelnd, doch mit entschiedenem Gestus, grüßte sie uns.

 

Voller Leidenschaft – mit durchdringender Schärfe – ließ sie eine Sensibilität erkennen, die die ganze Tiefe des menschlichen Seins erfasste. Mir wurde klar, dass ich Zeuge des Aufstieges einer einzigartigen weiblichen Haiku-Dichterin wurde, die die Kraft hatte, die Nachkriegs-Haiku-Bewegung anzuführen. Ihr zweites Haiku-Buch, Akai chizu [Die rote Karte], enthält ihre Haiku über Nagasaki. Ich habe dort eine Zeit lang aus geschäftlichen Gründen gelebt und hatte die Gelegenheit sie zu treffen und mit ihr zu sprechen. Ich sah meine Erwartungen bestätigt. In der Tat enthält das Buch einige ihrer meisterlichsten Haiku, die später Kontroversen hervorriefen:

 

満開の森の陰部の鰓呼吸

mankai no mori no inbu no era kokyû

 

Kiemenatmung

der Genitalien des Waldes

in voller Blüte

 

 

マラソンの足扇形に滝の使徒か

marason no ashi senkei ni taki no shito ka

 

Die Beine des Marathonläufers

fächerartig

Apostel eines Wasserfalls?

 

 

黄蝶ノ黄危機ノキ・ダム創ル鉄帽の黄

kichô no kiki no ki • damu tsukuru tetsu bô no ki

 

Gelber-Schmetterlings-Gefahr-gelbe-Gefahr: Damm-Konstruktions-Eisenhelm-gelb

 

 

Der gleiche experimentelle Geist ist auch in ihrem späteren Werk zu finden:

 

 

百足百匹洗骨の儀はすみしかな

mukade hyappiki senkotsu no gi wa sumishi kana

 

Hundert schwarze Tausendfüßler —

das Ritual des Knochenwaschens

vermutlich vollbracht

 

Gewagt, abenteuerlich, sexuell, experimentell, das sind einige der Qualitäten von Mikajos Arbeiten. Ihrer Leidenschaft ohne Rücksicht auf Konsequenzen folgend, erschuf sie Haiku über den Menschen. Emporgestiegen im Strudel der Nachkriegs-Haiku-Bewegung ist Mikajo eine Haiku-Dichterin, die sicherlich auch noch heute von großer Bedeutung und Einfluss ist.

 

 

 

 

 

• Auszug eines Beitrags von Uda Kiyoko (geb. 1935). Enthalten in: Yagi Mikajo zen kushû ([Gesammelte Haiku von Yagi Mikajo], Tôkyô, Shûsekisha, 2006, S. 3f.):

 

 

Yagi Mikajo und die Spur der Zeit

von Uda Kiyoko

 

 

In den späten 50ern und frühen 60ern richtete ich das erste Mal meine Aufmerksamkeit auf Haiku-Werke, die besonders einflussreich waren, wie die von Kaneko Tohta, Hori Ashio (1916-1993), Hayashida Kineo (1925-1998), Shimazu Akira (1918-2000) und anderen. Darunter waren auch die Haiku von Yagi Mikajo [Uda zitiert die zwei obenstehenden Haiku und fährt fort]:

 

産卵の亀の涙が溶けた朝

sanran no kame no namida ga toketa asa

 

Die Morgendämmerung,

in der der laichenden Meeresschildkröte

Tränen schmelzen

 

. . . Seit dieser Zeit ist fast ein halbes Jahrhundert vergangen und die Haiku-Welt hat sich verändert. Heutzutage werden einige Kritiker und Kommentatoren der jüngeren Generation konstatieren, dass „das Avantgarde-Haiku ein Fehler war“.

 

Aber, außer an die Nachkriegszeit, kann ich mich an keine Periode erinnern, in der Haiku-Dichter mit solch einem starken Bewusstsein ihrer eigenen Ziele geschrieben haben und den Willen aufbrachten, diese zu klären und zu diskutieren. Ganz unmittelbar sprachen sie Themen des Selbst und der Gesellschaft an, mit großer Achtsamkeit – das war die so genannte „Avantgarde-Haiku“-Bewegung. Selbst in meinen Augen, den unreifen Augen einer reinen Zuschauerin, waren die Ausbrüche leidenschaftlichen Haiku-Ausdruckes der älteren Haiku-Dichter ungemein elegant und kraftvoll. Bis heute ist diese Zeit unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt. Ich werde sie nie vergessen.

 

Ich besitze noch einige Ausgaben der Haiku-Zeitschriften, die von Yagi Mikajo gegründet wurden: Fukurô [Eule], Yatôha [Schule der Nachtdiebe], Nawa [Seil], und weitere. Alle wurden auf altertümlichen Vervielfältigungsmaschinen gedruckt und die Papierqualität war ziemlich miserabel. Dennoch ist jede Seite dieser Journale angefüllt mit der substanziellen Kraft und Leidenschaft der jungen Haiku-Dichter einer Zeit, die heute in der Haiku-Geschichte als grundlegend erachtet werden. Yagi Mikajos Haiku-Werke sind die Spuren einer Frau, die in der Haiku-Dichtung jener Zeit eine innovative Schlüsselstellung einnahm.

 

 

 

 

 

• Auszug aus Yagi Mikajos „Anmerkungen zu „Einhundert Haiku von Saitô Sanki“ (1900, wiederveröffentlicht und enthalten: in Yagi Mikajo zen kushû ([Gesammelte Haiku von Yagi Mikajo], Tôkyô, Shûsekisha, 2006, S. 4f.):

 

 

Bemerkung zu “Einhundert Haiku von Saitô Sanki“

von Yagi Mikajo

 

 

Kurz nach Kriegsende, um 1947 oder 1948, gab es unzählige hungernde Menschen, Schwarzmärkte blühten auf Grund der Zerstörung des ruinierten Landes auf. Zu dieser Zeit hörte ich eine Vorlesung von Hirahata Seitô (1905-1997) über Psychiatrie; er war 1946 von den Schlachtfeldern Chinas zurückgekehrt. Ab 1947, ich war Assistenzärztin, besuchte ich täglich sein psychiatrisches Labor und freundete mich mit Saitô Sanki an, der dort regelmäßig, ungefähr zweimal die Woche erschien. Vor Saitô Sankis Beteiligung an Hirahata Seitôs Haiku-Gruppe an der medizinischen Hochschule hatte Hirahata Seitô Hashimoto Takako (1899-1963) als Haiku-Lehrer für seine Studenten eingeladen. Aus diesem Grund nahmen viele Haiku-Dichter an unseren Haiku-Treffen (kukai) teil: Hashimoto Takako, Horiuchi Kaoru (1903-1996), Hirahata Seitô, Saitô Sanki, Fujita Katsutoshi (Leiter der Pharmazeutischen Abteilung der Universität), Okajima Kiyoko (eine Assistentin der Psychiatrie-Abteilung) und sechs oder sieben andere Studentinnen. Auch Hashi Kageo (1910-1985) kam gelegentlich zu unseren Zusammenkünften. Diese Treffen wurden das Zentrum der Nachkriegs-Haiku-Gruppe Tenrô [Himmelswolf].

 

Kurze Zeit darauf wurde die Nara Kukai (Nara Haiku-Treffen) gegründet. Zu dieser Zeit brannten Saitô Sanki und andere Haiku-Dichter darauf, ihre während der Kriegszeit erzwungene Stille zu durchbrechen. Das hatte zur Folge, dass die Atmosphäre auf den Haiku-Treffen wirklich fantastisch war . . .

 

 

Anmerkungen.

1. Hirahata Seitô, Saitô Sanki, Horiuchi Kaoru und Hashi Kageo waren Mitglieder der Gruppe um das Neue Haiku Journal, Kyôdai Haiku. In der Kriegszeit waren die vier Haiku-Dichter von der Geheimpolizei der faschistischen Tennô-Regierung Japans u.a. wegen ihrer liberal-progressiven Haltung verhaftet worden. (siehe Itô Yûki. New Rising Haiku: The Evolution of Modern Japanese Haiku and the Haiku Persecution Incident, Red Moon Press, 2007; online im Original verfügbar, http://tinyurl.com/yrka65, auf Deutsch als “Das Neue Haiku. Die Entwicklung des modernen japanischen Haiku und das Phänomen der Haiku-Verfolgungen. Verfügbar unter: http://www.haiku-steg.de/liste.html).

 

2. Hashimoto Takako ist eine bemerkenswerte Haiku-Dichterin. Sie war Schülerin sowohl von Shigita Hisajo (1890-1946) als auch von Yamaguchi Seishi (1901-1994). Sie wurde als eine der „Vier T“ Haiku-Dichterinnen bekannt, der weibliche Gegenpart der berühmten „Vier S“-Haiku-Dichter.

 

3. 1948 begründeten die Haiku-Dichter Hirahata Seitô, Saitô Sanki, Horiuchi Kaoru, Hashi Kageo, Hashimoto Takako und weitere renommierte Haiku-Dichter die Haiku-Gruppe Tenrô [Himmelswolf], gemeinsam mit Yamaguchi Seishi. Diese Gruppe wurde zur einflussreichsten Gruppe des Nachkriegs-Haiku und der Gendai Haiku-Bewegung. Im selben Jahr gründete Saitô Sanki seine eigene Haiku-Gruppe um das Journal Gekirô [Gewaltige Wellen]. Yagi Mikajo partizipierte an dieser Gruppe stärker als an der Tenrô-Gruppe und gründete 1951 ihre eigene Gruppe und die Zeitschrift Fukurô [Eule].

 

 

 

 

• Auszug aus „Eine Anmerkung zu Yagi Mikajo zen kushû ([Gesammelte Haiku von Yagi Mikajo], Tôkyô, Shûsekisha, 2006): “Yagi Mikajo als weibliche “Avantgarde”-Haiku-Dichterin” [Joryû “zen'ei” haijin to shite no Yagi Mikajo] von Shiwa Kyôtarô (geb. 1954), auch bekannt als Professor Shimoyama Akira, Ph.D., Handelsuniversität Ôsaka].

 

 

Yagi Mikajo, eine weibliche “Avantgarde”-Haiku-Dichterin

von Shiwa Kyôtarô

 

 

. . . In der Tat wurde die Generation von Yagi Mikajo in der Taishô-Zeit (1912-1926) geboren. Es ist die Generation, die drei historische Perioden erlebt hat: Taishô, Shôwa (1926-1989) und Heisei (seit 1989). Viele sehen „den Einschnitt zwischen Vorkriegs- und Nachkriegszeit” als den wichtigsten Wendepunkt dieser Generation. Betrachtet man aber stattdessen die moderne Geschichte vom Blickwinkel des Wandels gesellschaftlicher Vorstellungen und einer gesellschaftlichen Werteverschiebung, so ist die Förderung des Aufstiegs der Frauen maßgeblich. Berücksichtigen wir dies und betrachten die Zeit nach 1960, so ist ein vollständiger Bruch bzw. eine Verschiebung innerhalb der Gesellschaft zu erkennen – ein paradigmatischer Wandel . . .

 

股の間の産声芽木の闇へ伸び

mata no ma no ubugoe megi no yami e nobi

 

Zwischen den Schenkeln,

der Geburtsschrei erstreckt sich

ins Dunkel des knospenden Baumes

 

Solch ein Baby hatte auch Yagi Mikajo. 1954, die Zeit, als sich diese Szene abspielte, war eine Zeit, in der es noch viele Teiche, Seen und Reisfelder überall in der Stadt Sakai gab, eine Zeit, in der an den Festtagen viele Buden vor den Häusern unserer Nachbarschaft aufgestellt wurden. In solch einer Szenerie scheint Yagi Mikajo „Dunkelheit“ empfunden zu haben. Es ist das “Dunkel”, wie es Akutagawa Ryûnosuke (1892-1927) in seinem Roman Kappa [ein Wasserkobold der japanischen Folklore] beschrieben hat, vergleichbar mit dem “Dunkel”, von dem Shakespeare in Macbeth spricht.

 

Als ich ein Kind war, machten sich Fischer vom Hafen von Sakai auf zu unserem Haus, sie wanderten durch die Straßen, verkauften Sardinen und riefen: „Möchten Sie tete kamu iwashi [Sardinen, die so frisch sind, dass sie in ihren Finger beißen werden] probieren?”

Auf diese Weise ruft Yagi Mikajo die Vergangenheit zurück. Die See der Fischer ist verschwunden. Heute existiert in der Stadt Sakai keine solche See mehr. Auch wenn der mythische und elegante Ortsname [für die Stadt Sakai], “Hagoromo” [aus dem Nô-Drama von Zeami: “himmlisch gefiedertes Kleid”] noch existiert und die Leute es einst als das „absolut weißeste Meeresufer des Ostens“ rühmten, ist die Küstenlinie der Stadt Sakai heute mit schmutzigen Ablagerungen verziert, es weht eine faulige Brise. Die See, die die Natur während hundert Millionen, Billionen von Jahren gereinigt hat. Die See, aus der unsere Vorfahren hundert und tausend Jahre lang “tete kamu iwashi” gefischt haben. Diese See wurde zwischen Yagis Mikajos und meiner eigenen Generation „abgeschnitten“ – das ist die gendai [zeitgenössische] Situation. Den Fakten dieser Zeit kann man nichts entgegensetzen, man muss das Dunkel integrieren.

 

Durch die Taufe des Neuen Haiku schaffte es Yagi Mikajo die “gendai” Zeit in ihren Haiku-Werken auszudrücken, im Strom unserer gegenwärtigen Zeit – in der alles „abgeschnitten“ scheint. 1957 veröffentlichte sie ihr Haiku-Buch Benitake. Zu dieser Zeit, in den frühen 1960ern, tauchte in vielen Haiku-Magazinen ihr Titel auf: „Die Fahnenträgerin des weiblichen Avantgarde-Haiku“. Lesen wir ihre Werke aus dieser Zeit, ist ihre Sympathie für die Philosophien von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir klar zu erkennen. Diese Sympathie hatte zur Folge, dass ihre unterschiedlichen Schriften Versuche darstellten, um „Existenz“ in „extremen Grenzsituationen“ auszudrücken, auch in ihren Haiku-Arbeiten. Sie schrieb auch zahlreiche anspruchsvolle Essays, in gewisser Weise suchte sie wohl nach neuen Konzeptionen, vielleicht jenseits ihrer Fähigkeit, sich [in Prosa] auszudrücken. Ihrem Wesen nach war sie keine philosophische Denkerin, im Gegenteil: ihre Definition von „Avantgarde“ war im Grunde genommen verschwommen.

 

Im Dunkel existiert kein “hier”, es ist das wahre Streben von Yagi Mikajo, die Vektoren und Dimensionen der Existenz zu entdecken, die auf diese Thematik einwirken.

 

Nach der Veröffentlichung von Benitake begann sie Essays und Kritiken für die wichtigsten Haiku-Magazine zu schreiben, für Haiku, Haiku Kenkyû [Haiku Studium], Haiku to Essay [Haiku und Essays] und für viele Haiku-Gruppenzeitschriften, die aus Kaitei [Ozean Ferne; angeführt von Kaneko Tohta] entstanden, für ihre eigene Journal-Gruppe Hana [Blume] und für viele mehr.

 

 

 

 

 

Biografische Daten

 

 

Yagi Mikajo (geb. 1924 als Yagi Michiko in der Stadt Sakai, Präfektur Ôsaka), absolvierte die Sakai-Highschool für Frauen (das gleiche Institut besuchte auch die Tanka-Dichterin Yosano Akiko, 1878-1942) und studierte daraufhin an der Medizinischen Hochschule für Frauen von Ôsaka (die heutige Medizinische Universität Kansai). Sie machte ihren MD Abschluss und wurde die erste weibliche Augenärztin in der Geschichte Japans. Nach dem Krieg erhielt sie zunächst von dem Haiku-Lehrer Suzuka Noburo (1887-1971) Unterricht im Shasei-Stil, danach u.a. bei den während des Krieges inhaftierten Neuen Haiku-Dichtern Hirahata Seitô und Saitô Sanki. Von diesen erhielt sie ihr haigô (Haiku-Pseudonym) „Mikajo“ – in Anlehnung an ein kanji, das im Namen von Yosano Akiko zu finden ist. Ihr Haiku-Stil ist als zen'ei (Avantgarde)-Haiku bekannt. Sie stand nicht nur mit den älteren Vertretern der Neuen Haiku-Bewegung in enger Verbindung, sondern auch mit den jüngeren Nachkriegs-Dichtern, darunter Kaneko Tohta (geb. 1919), Suzuki Murio (1919-2004) und Akao Tôshi (1925-1981). 1964 wurde sie Leiterin einer eigenen Haiku-Gruppe um die Zeitschrift Hana [Blume].

 

Die führende Haiku-Dichterin der Nachkriegszeit war auch aktive Feministin und hielt das Gedenken an Yosano Akiko wach, die ebenfalls in der Stadt Saikai gelebt hatte. 1982 gründete sie “Die Yosano Akiko Chorgruppe” [Yosano Akiko o utau kai] und wurde Leiterin dieses Chors. Seitdem wird der „Akiko Liederabend“ alljährlich als wichtiges Ereignis geschätzt. 1986 entdeckte Gro Harlem Brundtland (geb. 1939), die erste weibliche Premierministerin von Norwegen, ihr Interesse an Yosano Akiko. Der japanische UN-Repräsentant hatte 1985 auf einer UN-Konferenz aus einem ihrer Gedichte zitiert. Im Geiste internationaler Freundschaft wurde Mikajo Gründungspatronin eines zweisprachigen (jap./norw.) „Yosano Akiko Gedicht-Gedenksteins“, der im Junior-Frauenkolleg von Sakai errichtet wurde. Später reiste sie nach Norwegen, um dem dortigen Kabinett eine offizielle Fotografie des Gedenksteins zu überreichen. Zugleich präsentierte sie dem Bildungsminister und dem norwegischen Prinzenpaar ihr eigenes „haiku tanzaku“ (eine formelle Form der Präsentation und Hängung von Haiku-Gedichten in kalligraphischer Schrift). 1992 ließ Mikajo einen „Yosano Akiko Gedicht-Gedenkstein“ (ebenfalls zweisprachig) im Gleichstellungsrat in Oslo, Norwegen errichten. Im selben Jahr wurde sie Gründungspatronin des Yosano Akiko Museums, das in der Stadt Sakai in der Präfektur Ôsaka im Jahr 2000 eröffnet wurde.

 

 

 

 

 

Spitze