Ônishi Yasuyo — Ausgewählte Gendai Senryû

Übersetzt von Kanae Shirai-Elfeky und Udo Wenzel

April 2008

 

Dieser Link führt zu einem handgeschriebenen Senryû,

das auf die Bitte von Richard Gilbert und Itô Yûki während des Interviews

in Ôsaka (Japan), im August 2007, geschrieben wurde.

 

 

 

火柱の中にわたしの駅がある       

ひばしらのなかにわたしのえきがある

hibashira no naka ni watashi no eki ga aru

 

In einer Feuersäule

steht mein Bahnhof

 

 

 

わたくしの骨とさくらが満開に

わたくしのほねとさくらがまんかいに

watakushi no hone to sakura ga mankai ni

 

Meine Knochen und Kirschblüten

in voller Blüte

 

 

 

あじさい闇 過去がどんどん痩せてゆく

あじさいやみ かこがどんどんやせてゆく

ajisai yami kako ga dondon yasete yuku

 

Hortensienfinsternis –

nach und nach verwelkt

die Vergangenheit

 

 

 

わが死後の植物図鑑きっと雨       

waga shigo no shokubutsu zukan kitto ame

 

Nach meinem Tode,

in das Botanikbuch wird

Regen fallen, gewiss

 

 

 

袋小路で転ぶと海が見えてくる  

ふくろこうじでころぶとうみがみえてくる

fukurokôji de korobu to umi ga miete kuru

 

In einer Sackgasse

gestürzt, erst jetzt

sieht man das Meer.

 

 

 

うしろから水の音して訃が来たり

うしろからみずのおとしてふがきたり

ushirokara mizu no oto shite fu ga kitari

 

Von hinten erklang

das Geräusch von Wasser, danach

eine Todesnachricht

 

 

 

どこまでが九月の風となるいのち

doko made ga kugatsu no kaze to naru inochi

 

Welches Leben wird

Septemberwind

 

 

 

狙撃兵のふところ深く百日紅

そげきへいのふところふかくさるすべり

sogekihei no futokoro fukaku sarusuberi

 

Tief ist das Herz

eines Scharfschützen –

Kreppmyrtenblüte

 

 

 

百日紅 sarusuberi (Kreppmyrtenblüten) blühen im Sommer. Die kanji bedeuten wörtlich: “100 Tage rot”. Die Aussprache “sarusuberi” verweist auf den Baum, der auch “Affenrutsche” genannt wird: saru heißt 'Affe' und “rutschen” suberu. Der Stamm ist so glatt, dass ihn nicht einmal ein Affe besteigen kann.

 

 

  号泣の男を曳いて此岸まで           

ごうきゅうのおとこをひいてしがんまで

gôkyûno otoko o hi-ite shigan made

 

Einer, der heult -

ich zerre ihn bis an

diesen Uferrand

 

 

此岸 shigan (Uferrand) hat die buddhistische Konnotation von 'überqueren' – damit wird entweder auf den Tod oder auch auf die Erleuchtung verwiesen.

 

 

 

きみ恋わむ式部納言の裔として

きみこわんしきぶなごんのすえとして

kimi kowan shikibu-nagon no su-e to shite

 

Ich werde Dich lieben –  

als Nachkomme von Shikibu & Shonagon

 

 

1) kowamu ist ein altes, traditionelles Verb für “lieben, bitten, für etwas beten, Einsamkeit herbeisehnen, usw.” (das Verb hat vielfältige Nuancen); im modernen Japanisch wird es “kowan” ausgesprochen.

 

 2) shikibu-nagon: die drei berühmten Dichterinnen des kaiserlichen Hofes der Heian-Zeit: Murasaki Shikibu (973-1014 n.Chr. (vermutl. 1025), Verfasserin von Geschichten des Prinzen Genji [Genji monogatari]); Izumi Shikibu (auch Hofdame Izumi, geb. um 976 n.Chr.), deren Werke sowohl in den vom Kaiser autorisierten Gedichts-Anthologien, Shûishû und Go-Shûishû  und in ihrem poetischen Tagebuch, Das Tagebuch der Izumi Shikibu (Izumi Shikibu nikki) veröffentlicht wurden; und Sei Shônagon (Hofdame Seishô, 965-1010 n.Chr.), die Verfasserin von Das Kopfkissenbuch der Sei Shônagon.

 

 3) ('su-e' [ausgespr. “sue-ay”]) ist ein altes kanji und bedeutet “Erbe, Nachkomme”.